Meine Herzenslinde
Von Serena Britos, Ethnobotanikerin
Tag für Tag begegne ich meiner Linde: Sie steht neben unserem Haus, wie es eine sehr alte europäische Tradition will, und behütet uns. Ich liebe ihre Blätter – sie sind weich, zart und herzförmig. Auch ihr Laub nimmt, wenn es frei wachsen darf, eine würdevolle konische Form an, die an ein umgekehrtes Herz erinnert. Und auch aufgrund des "Friedens im Herzen", den sie mit dem süssen Duft ihrer Blüten verströmt, wurde die Linde von den alten Völkern Europas als heilig betrachtet.
Im Schatten der Linde wurden Geschäfte gemacht, Hochzeiten gefeiert, getanzt und Recht vollzogen. Sie war ein Symbol für Ruhe, Wohlbefinden und gute Beziehungen. Aus diesem Grund hat sie einen Ehrenplatz auf den Dorfplätzen, den großen Strassen und neben den Bauernhöfen. Sie ist da, um die eheliche Gemeinschaft und die Familieneinheit zu schützen. Mit den Fasern der Rinde wurden Kleidungsstücke gewebt und ihr homogenes helles Holz für die Herstellung von Musikinstrumenten, insbesondere Bass und Gitarre verwendet. Wenn sie blüht, wird sie von Unmengen an Bienen umschwärmt; der Honig ist köstlich. Heute kennt man sie wohl vor allem für ihren Tee. Ich versuche immer, so viele Blüten wie möglich zu pflücken, um sie zu trocknen – denn meine Kinder trinken jeden Tag zum Frühstück Lindenblütentee. Auch in unserem Badezimmer ist sie, mit einigen Kamillenblüten und ein wenig Mandelöl kombiniert, eine hochgeschätzte Zutat vor dem Schlafen.
Eine kleine Anekdote betrifft den Vater der wissenschaftlichen Einordnung von Lebewesen, Carl von Linné. Sein Nachname bedeutet wörtlich Linde - und wurde zu Ehren der weltlichen Linde, die im Hof seiner Grosseltern stand, gewählt.